Die Leiden des jungen Alex
Verfasst am Samstag, 3. Jul 2010
Im Moment komme ich zu gar nichts. Verantwortlich dafür ist ein Mischmasch aus fehlender Zeit, immenser Überlastung und chronischer Unlust. An sich macht ja alles Spaß, aber irgendwie ist trotzdem alles viel zu viel. Vor allen Dingen muss ich extrem viel lesen. Da wären Texte über die Handlungstheorie und kollektive Intentionalität, Kants Kritik der reinen Vernunft auf der einen Seite und literarische Meister- und sonstige Werke auf der anderen. Zudem bin ich der Typ Leser, den man mit “Ich muss jede tolle Textstelle bunt unterstreichen.” beschreiben kann. Also präsentiere ich euch heute als Kontrastprogramm einige der schönsten Stellen aus den beiden kürzlich gelesenen Büchern, die ich bunt unterstrichen und hinterher ausgemalt hab.
Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther
Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther. Köln, 2005.
Online-Volltext beim Projekt Gutenberg
Wenn man mich nun gar fragt, wie sie mir gefällt? – gefällt! Das Wort hasse ich auf den Tod. Was muß das für ein Mensch sein, dem Lotte gefällt, dem sie nicht alle Sinne, alle Empfindungen ausfüllt! Gefällt! Neulich fragte mich einer, wie mir Ossian gefiele! [S. 33]
»Daß ihr Menschen«, rief ich aus, »um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müßt: ›das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös!‹ und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die innern Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wißt ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen mußte? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein«. [S. 41]
Auch schätzt er meinen Verstand und meine Talente mehr als dies Herz, das doch mein einziger Stolz ist, das ganz allein die Quelle von allem ist, aller Kraft, aller Seligkeit und alles Elendes. Ach, was ich weiß, kann jeder wissen – mein Herz habe ich allein. [S. 67]
Sophie Mereau-Brentano: Amanda und Eduard
Sophie Mereau-Brentano: Das Blütenalter der Empfindung. Amanda und Eduard. Romane. München, 1997.
Online-Volltext bei zeno.org
Er sah mich einige Augenblicke lang mit zweifelhaftem Ausdruck an, und schien bewegt. Aber bald war es, als schämte er sich seiner Empfindung, er verließ mich, und blieb so verschlossen, wie vorher. Ach! Julie, wenn ich diesen sonderbaren Mann zuweilen Sätze aufstellen hörte, die meiner heitern Ansicht von Welt und Menschen gänzlich Hohn sprachen, wenn ich sein peinliches Mißtrauen in Alle und auch in mich vergebens zu mildern versuchte, und vor diesem verschloßnen Herzen ewig unerhört stand, dann wurden mir meine Tage oft unerträglich, und die Erinnerung an das Gute, das ich ihm verdankte, sank wie eine erdrückende Last auf mein Herz! – Freilich habe ich dies alles auch oft genug vergessen. Meine Wünsche waren nicht eigensinnig an einen einzigen Gegenstand gebunden, meine Sinne standen jedem Eindruck offen, und so konnte es mir in meiner Lage nicht an Veranlassungen fehlen, meinen Kummer zu vergessen. Nur das Verlangen nach einer vertrauten Seele, nach dem Genuß einer gegenseitigen Mittheilung, eines arglosen, innigen Umgangs, ließ sich nie ganz unterdrücken. [S. 65]
Denn öfters habe ich Menschen, die stets von fremden Fehlern sprachen, geistreich nennen hören, die mir immer äußerst geistarm vorkamen. Denn wie viel leichter ist es, die Unterhaltung mit dem Tadel andrer, zu würzen, da dadurch der geheimen Schadenfreude andrer, und dem süßen Wahn der Ueberlegenheit geschmeichelt wird – als Gespräche zu führen wissen, die ohne diesen Kunstgriff reizen und unterhalten. Nein, nur wer mit so viel Laune, Geist und Virtuosität wie Nanette zu spotten weiß, nur der sollte es sich erlauben! [S. 210]
Es giebt eine Religion, sagte der fromme Einsiedler, welche allen andern Religionen vorhergieng und zum Grunde liegt, und wer sie erkennt, dem geht eine Klarheit auf, in welcher er den Zusammenhang Aller einsieht, und welche Licht über alle Verhältnisse sterblicher Wesen verbreitet. – Die Gottheit hat ihren Dienst selbst geoffenbaret; es war eine Zeit, wo Götter mit den Menschen umgiengen, wo wirkliche Göttergestalten lebten. Daher die Heiligkeit des fernen Alterthums; je höher hinauf, je mehr Größe, Einfachheit, Göttlichkeit; alles deutet darauf hin. Das, was wir Mythe nennen, ist nur der ferne vielmal gebrochne Widerhall einer ehemaligen Wahrheit, nicht die Menschen erfanden es, sondern es war, und ich hoffe, dies wird einst bewiesen werden; diese Wahrheit, welche die fromme Vorwelt glaubte, und die Mitwelt vergißt, wird einst das sichre, klare Resultat der Nachforschung, der Wissenschaft, der Weisheit sein! [S. 216]
Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen und die Stellen inspirieren euch zu irgendwas in irgendeiner Art und Weise. Herzlichst, euer Alex, the teenage turtle.
Letzte Kommentare