Nadja Benaissa, HIV & die Öffentlichkeit

Verfasst am Montag, 16. Aug 2010

Nadja Benaissa hat zugegeben trotz des Wissens um ihre HIV-Infektion ungeschützten (d.h. ohne Kondome) Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Es soll hier aber nicht darum gehen, ob und wie schrecklich das ist. Mich interessiert das nicht so sehr wie die Meinungen all der vielen Menschen, die sich darüber ein Urteil erlauben und teilweise extrem abstruse Dinge von sich geben.

Das Erstaunlichste ist ja wohl, dass sie die Sängerin, begünstigt durch die sehr interessante Arbeitsweise der zuständigen Behörden und nicht unerhebliche Meinungsbildung durch die Medien, sehr schnell als eine Art Feindbild akzeptieren. Plötzlich soll Nadja das Gesicht der vermeintlich bösen Ungeheuer sein, die mit anderen Menschen ohne Kondome schlafen und sie dadurch mit dem HI-Virus anstecken.

Man fragt sich zurecht, ob das nicht ein wenig absurd ist. Immerhin waren ihre Sexualpartner offensichtlich mit dem Beischlaf einverstanden. Und so frage ich mich: Warum haben die nicht einfach mal ein Kondom benutzt? Wir leben doch, so meint man, in einer halbwegs aufgeklärten Gesellschaft, in der man schon vor der Pubertät mit Infos über HIV und AIDS zugebombt wird. Warum schaffen es dann nicht zwei (oder mehr) Erwachsene nicht zu verhüten? Liegt es daran, dass wir alle immer denken, so etwas würde immer nur andere treffen? Einem selbst könne dies unmöglich passieren! Es wäre auch wirklich nicht verwunderlich, wenn einige Menschen immer noch der Meinung sind, dass ihnen als Heterosexuellen das ja eh nicht passieren könne.

Ein Freund meinte zu mir, dass man mit so etwas ja auch nicht rechne. Das ist zunächst nachvollziehbar. Aber andererseits: Ich rechne auch nicht damit, einen Verkehrsunfall zu haben, trotzdem lege ich, wenn ich in ein Auto steige, den Sicherheitsgurt an. Er wird mich vielleicht nicht vor allem bewahren, was passieren kann, aber nichtsdestotrotz kann er eventuell Schlimmeres ersparen. Und darum gehts doch?

Vielleicht denken aber auch viele Leute, die in Kreisen der Prominenz u.ä. verkehren, dass das berühmten bzw. bekannten Menschen nicht passiert. Nun, Freddie Mercury, Klaus Nomi, Anthony Perkins und Magic Johnson sind nur ein paar der Namen, die mir da als Gegenargumente einfallen. Worauf ich hinaus will: Niemand von uns, egal ob reich oder arm, klug oder dumm, hübsch oder hässlich – wirklich niemand – ist sicher vor dem HI-Virus,  solange er nicht auf sich und seinen Körper Acht gibt. Und selbst dann gibt es keinen 100%igen Schutz, aber die Gewissheit, dass man auf sich aufgepasst hat, so gut man konnte.

Aus diesen Ausführungen dürfte auch klar werden, dass ich absolut nicht nachvollziehen kann, warum manche Leute Frau Benaissa als Mörderin bezeichnen. Das ist nicht nur respektlos und beleidigend, es ist auch falsch. Abgesehen davon, dass es schon schlimm genug ist, dass ihr Privatleben in den Medien und nun im Gerichtssaal vor anscheinend öffentlichem Publikum breitgetreten wird, hat niemand das Recht irgendjemanden durch seine unerhebliche und uninteressante Meinung auf dieser Art und Weise zu verurteilen. Zudem zeigt es auch noch, wie viel (oder wenig) diese Leute über HIV und AIDS wissen, wenn sie eine Infektion mit Mord und Tod gleichsetzen.

Das, was sie wissentlich getan hat, ist rechtlich gesehen höchstwahrscheinlich “schwere Körperverletzung”, aber ich kann mich auch irren. Aber moralisch ist es etwas anderes, wobei ich nicht weiß was. Es erschreckt mich aber, wenn irgendwelche unterbelichteten 0815-Otto-Normalgehirnamputierte gleich “lebenslänglich”, “für immer Wegsperren” und ähnliches verlangen. Ich meine, das sind alles Leute, die die ganze Geschichte überhaupt nichts angeht. Wie kann man denn so etwas überhaupt sagen? Waren die alle dabei, als die “Tat” ausgeführt wurde? Wissen die, was da passiert ist, wie es dazu kam, was DER JEWEILIGE MANN da vielleicht für eine Rolle gespielt hat? Die Antwort auf diese und ähnliche Fragen ist naheliegend.

Was ist das für eine Gesellschaft, in der es von vielen Leuten als Meinungsfreiheit angesehen wird, wenn man trotz seiner Subjektivität, Unwissenheit etc. jemanden als Mörderin bezeichnet? Das zu tun ist mehr als nur eine private Meinungsäußerung. Das ist ganz im Gegenteil das Symptom eines Zustandes in der Bevölkerung, der immer dann hervorbricht, wenn unangenehme Dinge passieren: Angst – vor Krankheiten, vor dem Tod und vor allen Dingen vor Verantwortung.

Ich habe auch Angst davor, mir eine schlimme Krankheit oder Infektion einzufangen, aber ich stelle sicher, dass ich nichts wissentlich tue, damit das passieren kann. Was andere tun, liegt in deren eigenen Händen und es steht mir in globalen Zusammenhängen nicht zu, zu entscheiden, ob das objektiv richtig, falsch, gerecht, ungerecht oder sonst was ist. Und es steht mir auch nicht zu, andere aufgrund ihrer privaten Eskapaden, Katastrophen oder wie auch immer in Verbrecherkategorien einzuteilen. Dazu haben wir Einrichtungen, die sich damit befassen (dürfen/sollen/müssen) und die Leute, die anderen schaden, mit entsprechenden Konsequenzen konfrontieren. Es kann aber nicht von öffentlichem Interesse sein, was da im Einzelnen geschieht, zumal es hier um einen Tatbestand geht, der insofern nicht öffentlich spannend sein dürfte, als dass von der Angeklagten keine unmittelbare Gefahr für die Gesellschaft ausgeht. Sie ist kein Vergewaltiger, Serienkiller, Amokläufer und auch keine tickende Zeitbombe. Das, was da verhandelt wird, ist privat und dementsprechend sollte es auch behandelt werden. Dass solche Fälle relativ häufig vorkommen, wissen wohl nicht so viele, wie ich dachte. Wäre Frau Benaissa aber keine bekannte Sängerin, würde auch nach diesem Fall kein Hahn krähen und das ist in meinen Augen das (entschuldigt die Wortwahl) Beschissenste an der ganzen Geschichte, mag man es drehen, wie man mag.

Ich weiß auch, und das handhaben viele Freunde von mir so, dass sie in einer festen Partnerschaft auf Kondome aus unterschiedlichsten Gründen verzichten. Ich kann das meist nachvollziehen, aber manchmal  handelt es sich lediglich  um Illusionen. Und Vertrauen schützt einen vor sexuell übertragbaren Krankheiten wahrscheinlich noch weniger als Enthalsamkeit.

Also, seid so nett und schützt euch vor allen Dingen selbst, ob ihr Jungen, Mädchen oder irgendetwas anderes seid. Erwartet nicht von eurem Gegenüber, dass er euch über seine Krankheitsbilder etc. aufklärt, wenn er euch flachlegen will. Habt ihr mal das Gefühl, ihr hättet etwas furchtbar Dummes gemacht, macht eine Postexpositionsprophylaxe. Am Besten aber, ihr macht nichts furchtbar Dummes, wenn ihr es verhindern könnt.

Über mich

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Ohrwurm